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„Begabte Kinder oft benachteiligt“
Südwestumschau vom 26.01.2023

Kluge Kinder werden immer noch zu selten gut gefördert. Expertin Ingvelde Scholz fordert mehr Gerechtigkeit für sie. Ein Gespräch über den Sinn von IQ-Tests und die Rolle der Pädagogen.

Von Beate Rose    

An Schulen ist der Blick der Lehrerinnen und Lehrer oft auf Kinder gerichtet, die sich mit dem Lernen schwertun. Begabte und hochbegabte Kinder werden dagegen wenig beachtet, meint Ingvelde Scholz, Lehrerin und Leiterin der Hochbegabtenförderung am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar.

Frau Scholz, wie äußert sich Hochbegabung?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, jedes Kind ist unterschiedlich. Bei begabten Kindern kann etwas auffällig sein, muss es aber nicht. Bei zwei Gruppen fällt eine Hochbegabung oft nicht auf.

Welche Gruppen meinen Sie?

Das sind zum einen introvertierte Hochbegabte, die sich nicht gern in den Vordergrund spielen. Sie werden eher unterschätzt. Genauso wie die hochbegabten Mädchen. Wenn Mädchen herausragende Leistungen bringen, gelten sie oft als fleißiges Bienchen, als dass jemand eine Hochbegabung vermutet. Bei diesen Gruppen wird oft eine Hochbegabung nicht erkannt. Genauso gibt es aber auch jene Kinder, die im Schulalltag unterfordert sind und darauf mit Störverhalten reagieren, wie den Klassenclown zu geben. Wenn da die Schule den Eltern rückmeldet, dass ihr Kind oft stört, die Eltern aber wissen, dass das Kind zu Hause gerne lernt, dann rate ich dazu, die Frage nach einer möglichen Hochbegabung zu klären.  

Müssten es nicht Lehrerinnen und Lehrern sein, denen eine Hochbegabung zwangsläufig auffällt?

Nicht immer. Ich bin in der Lehreraus- und -fortbildung tätig und mache die Erfahrung, dass das Thema Hochbegabung da wenig vorkommt. Das möchte ich ändern. Natürlich gibt es Hinweise für Lehrerinnen oder Lehrer, die vor einer Klasse stehen, wie etwa, wenn ein Kind Zusammenhänge viel schneller begreift als andere oder ein besseres Kurz- und Langzeitgedächtnis hat. Oder wenn sich Kinder schon vor dem Eintritt in die Grundschule selbst das Lesen beigebracht haben. Da wird dann oft den Eltern unterstellt, dass sie mit dem Kind geübt haben. Das ist natürlich für die Eltern ein Problem, die übrigens oft sehr bescheiden auftreten.

Empfehlen Sie, eine Hochbegabung immer mit einem Test zu klären?

Nein. Es gibt viele Hochbegabte, die nicht getestet sind. Wird eine Hochbegabung bescheinigt, schwingt ja immer die Erwartung mit: Oh, jetzt kann nichts mehr schiefgehen in der schulischen Entwicklung. Das ist natürlich Quatsch, denn auch Hochbegabte haben ihre Schwierigkeiten. Nach Erkenntnissen der Wissenschaft muss eine Hochbegabung nicht zwangsläufig zum Schulerfolg und zum beruflichen Erfolg führen. Ein durchschnittlich Begabter kann mit Lernfreude und Willen genauso viel erreichen wie ein Hochbegabter.

Ein IQ-Test ist Voraussetzung für Kinder, die am Hochbegabtenzug eines Gymnasiums lernen wollen?

Ja, das ist in Baden-Württemberg so. Der Test muss in einer schulpsychologischen Beratungsstelle vorgenommen werden, also von unabhängigen Psychologen, damit jeder Verdacht auf Gefälligkeits-Gutachten ausgeschlossen werden kann. Kinder wissen übrigens oft den Wert ihres IQ-Tests nicht und das finde ich gut. So kommt es nicht zu Vergleichen oder starren Zuschreibungen.

Empfehlen Sie das Lernen im Hochbegabtenzug oder kann das Kind nicht ebenso in der Regelklasse glücklich werden?

Kinder erleben oft in einem Hochbegabtenzug eine Form der Integration. Solche Kinder schildern dann in Beratungsstunden, dass sie niemand mehr komisch anguckt, wenn sie Fragen stellen oder sie sich als Fünftklässler für Astronomie interessieren. Für Fünft- bis Siebtklässler ist das Lernen im Hochbegabtenzug toll. Das erlebe ich selbst als Lehrerin und das sind auch die Ergebnisse einer Studie der Uni Würzburg zum Lernen im Hochbegabtenzug, der PULSS-Studie. Da stellte sich heraus, dass sich begabte Kinder im Hochbegabtenzug besser entwickelt und eine höhere Lernleistung erbracht haben. Interessant war, dass es ab Klasse 8 keinen Unterschied mehr gemacht hat, wo die Jugendlichen lernen. Die Vermutung liegt nahe, dass Jugendliche schon gefestigt sind und nicht mehr so abhängig sind von der äußeren Umgebung im Hinblick auf den Lernerfolg.  

Welche Rolle kommt Lehrern und Lehrerinnen zu bei der Unterstützung eines hochbegabten Kindes?

Sind Lehrer offen für viele Fragen und kreative Ideen, ist das natürlich
ein Glück für begabte Kinder. Allerdings erlebe ich oft Kinder in der Beratung, die erzählen, dass ihr Verhalten, viele Fragen zu stellen, nicht erwünscht ist. Lehrerpersönlichkeiten sind unterschiedlich. Manche empfinden es als persönlichen Angriff, wenn sie keine Antwort auf eine Frage eines Kindes parat haben, und fühlen sich dann blamiert. So wie unser System Schule ist, sind dann die Kinder dann in der Regel die Verlierer.  De facto sind begabte Kinder benachteiligt. Was man Schülern, die sich mit Lernen schwertun, an Förderung zugesteht, hält man begabten Kindern vor.
Was beeinflusst, ob Hochbegabte glückliche oder unglückliche Kinder sind?
Jedes Kind will geliebt und gemocht werden. Es kommt zuerst auf die Eltern an, ob sie ihren Kindern vermitteln, dass sie sich daran freuen, wenn ihr Kind viele Fragen stellt. Oder ob die Fragerei als störend empfunden wird. Natürlich spielt die Schule auch eine Rolle.

Was wünschen Sie sich für begabte Kinder?

Für sie wünsche ich mir Schulen, die bereit sind, auch mal etwas auszuprobieren. Warum sollte ein begabter Drittklässler, der in Mathe seinen Klassenkameraden weit voraus ist, nicht den Matheunterricht der 4. Klasse besuchen? Das alles hängt sehr davon ab, wie aufgeschlossen Schulleitungen und Pädagogen da sind. Ich wünsche mir Schulen, die begabten Kindern etwas gönnen, sie fördern und auch fordern.

Zur Person

Ingvelde Scholz ist Ehrenmitglied des Landesverbandes für Hochbegabung, Leiterin der Profilgruppe Hochbegabten- und Begabtenförderung, Lehrbeauftragte für pädagogische Psychologie und Fachleiterin für Latein am Seminar Stuttgart. Ihr Hauptgeschäft ist die Arbeit als Lehrerin am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach, wo sie sich auch für die Belange begabter Kinder engagiert. Als hochbegabt gilt übrigens, wessen IQ bei 130 und höher liegt. Das ist bei zwei Prozent der Bevölkerung der Fall.