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In der Begabtenklasse mehr Freude am Lernen
Marbacher Zeitung vom 28.02.2017

Die Bewerbungsfrist für das besondere Angebot am Friedrich-Schiller-Gymnasium ist der 11. März.

Die Begabtenförderung gibt es seit zehn Jahren am Friedrich-Schiller-Gymnasium. Deren Leiterin Ingvelde Scholz hat dort das Begabtenförderprogramm und den Hochbegabtenzug von Anfang an aufgebaut. In dieser Zeit hat sie im Land Baden-Württemberg wie auch in anderen Bundesländern zahlreiche Schulen bei dieser Arbeit begleitet. Ihr Fazit: An Schulen und Kindergärten gibt es noch zu wenig Ansprechpartner. Deshalb werden viele besonders begabte Kinder und Jugendliche nicht erkannt und angemessen gefördert. Unter den Tisch fallen vor allem Mädchen. Darüber und über den Hochbegabtenzug am FSG haben wir uns mit ihr unterhalten.

Für welche Kinder kommt denn die (Hoch-)Begabtenklasse in Frage?
Diese Klasse ist für Kinder geeignet, die sich im Unterricht nicht immer genug gefordert fühlen und häufiger über Langeweile klagen, die gerne auch mal Themen bearbeiten, die über den normalen Unterrichtstoff hinausgehen und die Freude und Lust haben, sich gemeinsam mit ähnlich motivierten Kindern in Frage- und Problemstellungen zu vertiefen.

Gibt es denn überhaupt fundierte Erkenntnisse darüber, ob besonders begabten Kinder in einer Begabtenklasse besser gefördert werden als in einer ganz normalen Regelklasse?
Vor wenigen Jahren wurde die sog. PULSS-Studie durchgeführt, bei der die Entwicklung von intellektuell besonders begabten Kindern in Hochbegabtenklassen mit der Entwicklung von besonders befähigten Kindern in normalen Regelklassen verglichen wurde. Die Ergebnisse dieser umfangreichen Studie zeigen, dass die hochbegabten Schüler in den Hochbegabtenklassen im Vergleich zu überdurchschnittlich begabten Schülern in Regelklassen einen deutlichen intellektuellen Wissens- und Leistungsvorsprung in Fächern wie Deutsch, Mathematik, Englisch sowie Natur und Technik zeigen.
Darüber hinaus erfahren besonders befähigte Schülerinnen und Schüler in einer Begabtenklasse mehr soziale Anerkennung und haben eine größere Lernfreude. Die überwiegende Mehrheit der befragten Kinder mit überdurchschnittlicher Begabung gibt an, seit dem Besuch einer Hochbegabtenklasse deutlich lieber in die Schule zu gehen.

Worin unterscheidet sich denn die Begabtenklasse am FSG von den ganz normalen Regelklassen?
In der Begabtenklasse können die Inhalte des Bildungsplanes etwas schneller vermittelt werden, so dass die Kinder etwas weniger Fachunterricht in der Woche haben. Dadurch wird Zeit gewonnen für jahrgangsübergreifendes, projektorientiertes und entdeckend-forschendes Lernen. Außerdem ist in den Begabtenklassen auch Zeit für Exkursionen an die Schwäbische Alb wie auch für erlebnispädagogische und teamorientierte Angebote. Das kommt der ganzheitlichen Entwicklung und individuellen Förderung der Kinder sehr zugute. Zudem sind die Klassen deutlich kleiner als die Regelklassen.

Das hört sich ja richtig toll an. Wie und bis wann können sich interessierte Kinder denn dafür bewerben?
Auf der Website des FSG finden interessierte Eltern und Kinder unter dem Link „Begabtenförderung/(Hoch-)Begabtenklasse“ alle Infos und Unterlagen zum Bewerbungs- und Aufnahme verfahren. Bewerbungsfrist ist der 11. März 2017.

Wie kommt es dazu, dass intellektuell besonders begabte Mädchen häufig nicht erkannt werden?
Es gibt mehrere Gründe, weshalb in den Begabten- und Hochbegabtenklassen an den Gymnasien der Mädchenanteil mit einem Drittel bis einem Viertel im Vergleich zu den Jungen mit Dreivierteln bis Zweidritteln deutlich zu niedrig liegt. Wenn ein Mädchen sehr gute Leistungen zeigt, denken viele Pädagogen: „Mädchen sind fleißige Bienchen, die durch emsiges Lernen zum Erfolg kommen.“ Mädchen wird also seltener eine Hochbegabung zugetraut. Wenn Jungen dagegen durch besondere Fähigkeiten und ungewöhnliche Lösungswege auffallen, heißt es sofort: „Der ist ein Käpsele.“

Jungen neigen dazu, in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern ein starkes Interesse zu entwickeln – viele Mädchen sind da nicht so interessiert. Spielt das auch eine Rolle?
Ja, denn Mädchen sind im Durchschnitt breiter interessiert als Jungen, die in ihrem Fachgebiet eher als Spezialisten glänzen. Gerade weil Mädchen so vielfältigen Interessen nachgehen, zeigen sie in den einzelnen Bereichen nicht so herausragende Leistungen. Und dadurch fallen sie dann wiederum nicht so stark auf, fallen unter Umständen schneller durchs Raster und werden in diesen Bereichen als nicht so intelligent wahrgenommen.

Warum ist es wichtig, dass eine Hochbegabung erkannt und gefördert wird?
Wenn ständig Stoff wiederholt wird, damit alle mitkommen, schalten die Hochbegabten schnell ab, sind gelangweilt und passen sich mit der Zeit an. Sehr zu ihrem Nachteil ist nicht nur, dass sie ihr Potenzial nicht entfalten können, sondern auch dass es zu psychosomatischen Reaktionen und Krankheitsbildern wie etwa Magersucht, Kopfschmerzen oder depressive Verstimmung kommen kann.

Wie wird eine Hochbegabung diagnostiziert?
Für eine eindeutige Diagnose ist ein Testverfahren notwendig, das in der Regel von der Schule in die Wege geleitet und mit Unterstützung von Diplom-Psychologen durchgeführt wird. Beim Aufnahmeverfahren für die (Hoch-)Begabtenklasse werden die Tests von der Schulpsychologischen Beratungsstelle durchgeführt. Ein Kind kann an dem Tag natürlich nervös sein, deshalb wird bei dem Test oft nicht der ganz strenge Wert angelegt, demzufolge ein Kind dann als hochbegabt gilt, wenn der Intelligenzquotient 130 oder höher ist. Wenn das Kind den Test erfolgreich absolviert hat, kann es in einer Begabten- bzw. Hochbegabtenklasse am Gymnasium besonders gefördert werden.

Wie zufrieden sind Sie nach zehn Jahren mit dem Standing der Begabtenförderung in Marbach und im Land Baden-Württemberg?
Die Hochbegabtenförderung ist mittlerweile anerkannt und auf einem guten Weg. Es gibt jedoch noch einiges zu tun. So fehlt es oft an Ansprechpartnern an Kindergärten und Schulen. Das liegt daran, dass unser Schulsystem vor allem die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen und Beeinträchtigungen, wie z.B. Lese-Rechtschreibschwäche, Dyskalkulie(Rechenschwäche) oder Autismus im Fokus hat. Das ist ja auch gut und wichtig. Nur müssen wir aufpassen, dass wir auch die Begabungen der Kinder im Blick haben. Dafür müssen Erzieher und Pädagogen noch besser geschult und fortgebildet werden.

Wie steht es um den neuen Begabten-Jahrgang am FSG im kommenden Jahr?
Wir hoffen, dass sich viele interessierte Familien melden und ihren Kindern dieses besondere Angebot der Hochbegabtenklasse ermöglichen.

Sie haben am Friedrich-Schiller-Gymnasium den Verein Pfiffikus gegründet. Wie entwickelt er sich?
Der Verein Pfiffikus entwickelt sich sehr erfreulich. Wir haben knapp hundert Mitglieder und ein breit gefächertes Programmangebot, wie z.B. regelmäßig stattfindende Kinder- und Jugendakademien, eine Vortragsreihe rund ums Thema Begabtenförderung, einen Elterngesprächskreis, ein Elterncafé usw. Zudem findet alle zwei Jahre ein Infotag Begabtenförderung statt.

Das Gespräch führte Oliver von Schaewen