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Gelungener Eröffnungsvortrag zur Weinstädter Veranstaltungsreihe
„Hochbegabtenförderung“

Weinstädter Nachrichten vom 27.06.2006

Eröffnungsvortrag zur Weinstädter Veranstaltungsreihe „Hochbegabtenförderung“ in der Endersbacher Jahnhalle: Lehrer und Eltern stellten Fragen, Referentin Ingvelde Scholz gab Antworten – Vorträge bis zum November

Hochbegabte Kinder. Rund zwei Prozent jedes Jahrgangs haben laut Studien diese seltene Fähigkeit. „Die Frage ist: Wie erkennt man die Begabung und wie kann ich sie in der täglichen pädagogischen Arbeit fördern?“ stellte Ingvelde Scholz in den Raum. Und gab im anschließenden Vortrag Denkanstöße, die in weiteren Referaten bis in den November vertieft werden. Rund 120 Lehrer und Eltern folgten Scholz’ Ausführungen in der Endersbacher Jahnhalle mit gespanntem Interesse.

Die Veranstaltungsreihe wurde als Fortbildung für Lehrer wie auch für interessierte Eltern ins Leben gerufen, entstanden aus einer Arbeitsgruppe der Stadt Weintadt, der Weinstädter Schulen, der Schulaufsicht beim Landratsamt sowie Ingvelde Scholz, Leiterin der Profilgruppe Hochbegabtenförderung am Seminar 1 für Didaktik und Lehrerbildung Stuttgart. „Das Thema ist reif“, begrüßte Oberbürgermeister Jürgen Oswald die Zuhörer. Dass die Zeit gekommen ist, besonders interessierte Kinder in besonderem Maße zu fördern, zeige der Ansturm auf die Weinstädter „Forschertage“ für Grundschüler in den Osterferien, die bereits einen Tag nach Ausschreibung weitgehend ausgebucht seien. „Die Förderung muss vor Ort stattfinden, nicht jeder Schüler kann einen langen Schulweg zu den Hochbegabtenschulen in Stuttgart oder Schwäbisch Gmünd auf sich nehmen“, ergänzte Wolfgang Riefler vom Fachbereich Schulberatung beim Landratsamt. Dass besondere Begabungen und Hochbegabungen bereits im Kindersalter erkannt und gefördert werden müssen, darüber besteht heute gemeinhin kein Zweifel. Doch, erinnerte Ingvelde Scholz, „dies war nicht immer so“. Lange galt die Hochbegabtenförderung als Ausdruck elitären Denkens, war gesellschaftlich stigmatisiert. Die Vorteile gerade für die Gesellschaft, Hochbegabte wie auch Minderbegabte besonders zu fördern, seien indes nicht von der Hand zu weisen. Man verhindere Fehlentwicklungen der Persönlichkeit, die durch die konstante Unterforderung entstehen könnten. Man entlaste die Familien, denn, so weiß Scholz, „Hochbegabte fordern ihr Umfeld, das den Wissensdurst der Kinder oftmals nicht in ausreichendem Maße stillen kann“. Und wenn ein Hochbegabter in der Klasse ist und entsprechend seinen Fähigkeiten gefordert wird, steigt – so zeigen Untersuchungen aus zahlreichen Ländern – das allgemeine Leistungsniveau der Klasse an. Im übrigen könne es sich eine Gesellschaft nicht erlauben, geistige Fähigkeiten verkümmern zu lassen, dem Mittelmaß zu opfern.


Hochbegabte: Brav und angepasst oder hyperaktiv und vorlaut?
Brav, angepasst, frühe kognitive Fähigkeiten wie Rechnen und Schreiben, der klassische Einser-Kandidat: So stellen sich viele einen Hochbegabten vor. Oder genau das Gegenteil: Hyperaktiv, vorlaut, besserwisserisch, altklug, Außenseiter. Scholz: „Die Wahrheit liegt dazwischen“. Hochbegabte sind ganz normale Kinder, die sich charakterlich nicht über einen Kamm scheren lassen. „Es fängt schon mal damit an“, fuhr Ingvelde Scholz fort, „wie definiert man überhaupt besondere oder Hochbegabung?“ Gemeinhin versteht man darunter das „individuelle Fähigkeitspotenzial für weit überdurchschnittliche und außergewöhnliche Leistungen“. Doch Achtung: „Es handelt sich nur um das Potenzial, das von den tatsächlich erbrachten Leistungen oftmals abweicht“, warnt Scholz. Damit das Potenzial auch in Leistung umgesetzt werden kann, bedarf es großer Motivation, Übung und einem wohl wollenden und anerkennenden sozialen Umfeld, Eltern, Lehrer, Freunde. Warum werden Hochbegabungen oftmals verkannt? „Lehrer messen in der Regel nach Schulleistungen und nach Persönlichkeit des Schülers“, berichtete Scholz aus ihrer Erfahrung. Mehr als 50 Prozent der Hochbegabten würden daher nicht erkannt, fügte sie hinzu. Dabei sind die Schulnoten gerade kein Kriterium zum Erkennen einer Hochbegabung, insbesondere wenn das Kind eher durch schlechte Leistungen auf sich aufmerksam macht. „Hier spricht man von Underachievers, von Minderleistern“, erläuterte Scholz. Aus Langeweile machten diese Kinder viele Fehler, verfielen in eine Lernlethargie, die gute Leistungen nicht mehr erlaube.

Für Eltern und Lehrer: Wie erkennt man besondere Begabungen?
Die Vortragsreihe soll also Eltern und Lehrer für das Thema sensibilisieren, soll Kriterien aufzeigen, wie solche Begabungen erkannt werden können. Dabei ginge es nicht allein um kognitive Begabungen wie Rechnen oder Schreiben, die in Intelligenztests normiert werden könnten. Vielmehr müssten auch punktuelle und nicht-kognitive wie etwa besondere musische oder sportliche Begabungen in den Mittelpunkt gerückt werden.
Ein Kriterienkatalog soll Eltern helfen, Hinweise auf eine mögliche besondere oder Hochbegabung ihres Sprößlings bereits im Vorschulalter zu deuten. Geringes Schlafbedürfnis, Überspringen von Entwicklungsphasen, asynchrone Entwicklungen zwischen Intellekt und körperlichen Fähigkeiten, besondere Wissbegier können solche Hinweise für Eltern sein. Doch muss das Kind, das das Krabbeln auslässt und gleich läuft, das Kind, das lange nichts spricht, um dann mit ganzen Sätzen und einem großen Vokabular zu überraschen, nicht gleich hochbegabt sein. „Es sind Hinweise, keine Beweise“, betonte Scholz.
Auch Lehrer sollten bei überdurchschnittlichem abstrakten Denkvermögen der Kinder, einen außergewöhnlich guten Gedächtnis oder einen schnellen Informationsverarbeitung aufmerksam werden. Hochbegabte weisen in der Regel eine hohe intrinsische Motivation auf, haben ein gleichfalls hohes Energieniveau und ein starkes Bedürfnis nach Selbststeuerung („das kann ich allein“). Perfektionismus, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und Ablehnung von psychischer und physischer Gewalt gehen ebenfalls oftmals mit einer solchen geistigen Fähigkeit einher. „Interessant ist auch, dass hochbegabte Jungen auf Unterforderung mit ‚Zappeln’ oder Ruhestörung in der Klasse reagieren“, so Ingvelde Scholz. Mädchen hingegen richten ihre Frustration gegen sich selbst und entwickeln psychosomatische Krankheiten wie Migräne oder Magersucht.

Wie können Hochbegabte gefördert werden?
Oftmals stehen Erwachsene vor dem Problem, im Alltag den intellektuellen Anforderungen eines hochbegabten Kindes nicht gewachsen zu sein. Doch wie kann ein solches Kinder gefördert werden? „Die Eltern und Lehrer sollten Phrasen wie ‚dafür bist du noch zu klein’ oder ‚das machen wir später einmal’ aus ihrem Wortschatz streichen“, weiß Scholz. Ein wichtiger Aspekt sei auch, die Begabungen nicht nur zu kennen, sondern in erster Linie auch anzuerkennen. In der Schule sollten offene Lernformen wie etwa Projektgruppen angeboten werden. Und was Hochbegabten ein Greuel ist: Üben. „Sie zeigen dem Kind eine Aufgabe, und wenn es sie begriffen hat, bitte keine Wiederholungsübungen“, machte Scholz deutlich. Früheinschulungen oder auch Kinderakademien wie die „Forschertage“ seien ebenfalls geeignet, den Kindern Antworten auf ihre vielen Fragen zu geben. Scholz: „Auch der Kontakt zu Gleichgesinnten ist wichtig“. Denn die Kinder spürten, dass sie andersartig seien. Und schloss mit einem Appell: „Strafen sie besonders und hochbegabte Kinder nicht mit einer falsch verstandenen Chancengleichheit. Es gibt nichts Ungerechteres als die gleiche Behandlung ungleicher Menschen“.
Eltern, die glauben, ihr Kind könnte besondere Begabungen oder gar Hochbegabungen in sich tragen, können sich in Abstimmung mit der Schule an die zuständige schulpsychologische Beratungsstelle unter Telefon (07151) 959840 wenden.

Die Referentin
Ingvelde Scholz, Jahrgang 1963, ist Lehrerin für Latein und evangelische Theologie am Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach. Gleichzeitig war sie lange Jahre Leiterin des Kompetenzzentrums für Hochbegabtenförderung am Landesgymnasium für Hochbegabte Schwäbisch Gmünd. Vor drei Jahren gründete Ingvelde Scholz die Profilgruppe Hochbegabtenförderung am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerausbildung Stuttgart. Ingvelde Scholz gilt als bundesweit anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der Hochbegabtenförderung und referiert auch bei internationalen Kongressen.

Die Vortragsreihe
Insgesamt sind sechs weitere Vorträge in Weinstadt geplant. Faltblätter mit Themen und Terminen sind beim Landratsamt und den Außenstellen sowie bei der Stadt Weinstadt zu haben.

Appell an die Wirtschaft
Einen Freundeskreis zur Förderung von Veranstaltungen für besonders interessierte und begabte Kinder möchte Oberbürgermeister Jürgen Oswald ins Leben rufen. 15 Unternehmen haben ihre Teilnahme bereits zugesagt. Weitere sollen folgen, denn, so Oswald: „Auch die Wirtschaft hat erkannt, dass sich die Förderung der Kinder in qualifizierten Arbeitskräften in späteren Jahren auszahlt“. Jürgen Oswald hat sich in den vergangenen Wochen an alle Industrieunternehmen in der Stadt gewandt. Wer Interesse hat, dem Freundeskreis beizutreten, wird gebeten, sich im Vorzimmer des Oberbürgermeisters unter Telefon (07151) 693-228 zu melden.