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Auch Hochbegabte haben einen Anspruch auf angemessene Förderung
Gymnasium Baden-Württemberg Nr. 1-2/2005

Annette Baronin von Manteuffel und Ingvelde Scholz referierten vor Schulvertretern in Schwäbisch Gmünd über das Thema „Hochbegabung“

Es gehört schon zur Tradition des Bezirks Nordwürttemberg, Referenten zu gewinnen, die im Rahmen der Schulvertreter-Herbsttagung in Schwäbisch Gmünd über aktuelle schul- und bildungspolitische Themen sprechen und das einmal pro Jahr im November stattfindende zweitägige Treffen der Schulvertreter dadurch bereichern. Diesmal referierten Oberstudiendirektorin Annette Baronin von Manteuffel, Schulleiterin am Landesgymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd, und Studiendirektorin Ingvelde Scholz, Leiterin des dortigen  Kompetenzzentrums für Hochbegabtenförderung. Ausführlich stellten sie in einem gemeinsamen Vortrag dar, was man unter Hochbegabung versteht, woran man Hochbegabte erkennt und wie man sie fördern kann, wobei sie zwischen einer individuellen und ganzheitlichen Förderung am Landesgymnasium für Hochbegabte einerseits und einer landesweiten Hochbegabtenförderung als Aufgabe des Kompetenzzentrums für Hochbegabtenförderung andererseits unterschieden.

Was versteht man unter Hochbegabung?
Die Vorstellungen darüber klaffen in der Gesellschaft auseinander. So werde die Meinung vertreten, dass solche Kinder bereits mit einem Jahr perfekt sprechen, mit zwei Jahren rechnen und mit drei Jahren lesen könnten. Mit diesen verbreiteten Vorstellungen räumte Referentin Ingvelde Scholz auf. Viele solcher und ähnlicher Meinungen träfen nicht zu. In der Regel verstehe man unter Hochbegabung eine Befähigung zu besonderen und/oder außergewöhnlichen Leistungen. „Da gibt es viele Erscheinungsformen.“ Die meisten Forscher seien sich darüber einig, dass eine bestimmte Anlage oder Disposition als Voraussetzung für herausragende Leistungen in Frage komme und dass  diese Anlage auch vererbt werde. Hochbegabung bedeute aber nicht, dass ausnahmslos hohe Leistungen oder gar Höchstleistungen erbracht würden. Hochbegabung sei keine Garantie für Erfolge in der Schule oder eine Garantie für einen besonders hohen Aufstieg auf der Karriereleiter. Hochbegabung entwickele sich nur dann zu außergewöhnlicher Leistung, wenn mehrere Bedingungen positiv zusammenwirkten.

Woran erkennt man Hochbegabte?
In ihrem Vortrag ging Ingvelde Scholz darauf ein, wie bzw. woran man intellektuell Hochbegabte erkennen kann. Hochbegabung entspreche nicht der Schulbegabung. Sie würden in den Schulen oft nicht als solche erkannt und deshalb – auch aufgrund ihrer Verhaltensmerkmale - falsch interpretiert. Gut angepasste Schüler würden von Lehrern häufig als begabter angesehen als kritische und schwierige Schüler. Untersuchungen zeigten aber, dass sich die Zuverlässigkeit des Lehrerurteils durch geeignete Fortbildungsmaßnahmen der Lehrkräfte verbessern lasse.

Ingvelde Scholz, die sich auch für die Beibehaltung des gegliederten Schulwesens aussprach, stellte eine Merkmalsliste für Eltern (frühkindliche und vorschulische Merkmale) vor. So seien für Hochbegabte u.a. Lebhaftigkeit, geringeres Schlafbedürfnis, Überspringen von Entwicklungsphasen, Auffälligkeiten beim Sprachverhalten, vorzeitige Lese- und Rechenfähigkeit und sofortiger Blickkontakt kennzeichnend. In einer Merkmalsliste für die Lehrer (kognitive Merkmale) nannte sie abstraktes und logisches Denken, schnelle Auffassungsgabe, gezielte Informationsverarbeitung und eine außergewöhnliche Gedächtnisleistung.

Nicht-kognitive Merkmale seien eine hohe intrinsische Motivation, ein hohes Energieniveau, hohe Sensibilität, starkes Bedürfnis nach Selbststeuerung, Ablehnung von physischer und psychischer Gewalt, ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, Perfektionismus und das Gefühl der Andersartigkeit. Kennzeichnend seien auch Machtkämpfe mit Eltern und Lehrern, da sie vieles im Vorschulalter schon „alleine“ (sprich: selbst) machen wollten. An dieser Stelle ergab sich die Frage: Welche Konsequenzen hat das für den Lehrer – welchen Unterricht brauchen diese Schüler?

Wie erfolgt die Förderung von Hochbegabten am LGH?
LGH-Schulleiterin Annette Baronin von Manteuffel stellte in ihrem Vortrag dar, wie die Förderung am Landesgymnasium für Hochbegabte erfolgt. So werde sie wiederholt gefragt, warum das Land Baden-Württemberg ein Landesgymnasium für Hochbegabte habe. Von Manteuffel verwies in diesem Zusammenhang auf den Paragraphen 11 in der Landesverfassung: „Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht  auf seine Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. Das öffentliche Schulwesen ist danach zu gestalten.“

Alle Kinder seien also entsprechend ihrer Begabung zu fördern. Das gelte auch für Hochbegabte, werde aber bei diesen nur unvollständig eingelöst, obwohl sich im Vergleich zu vor zehn Jahren vieles auf diesem Gebiet verbessert habe. Seit Jahrzehnten gebe es eine Sonderpädagogik und Förderschulen für schwächer begabte Kinder, aber es gebe daneben eben auch eine zweite Minderheit am anderen Ende der Begabungsskala. Diese Kinder sollten auch von einer besonderen Pädagogik für Hochbegabte profitieren können. Schüler und Unterricht müssten zusammenpassen. Auch Hochbegabte seien deshalb zu fördern.

Notwendig: Mehr Außendifferenzierung
Eine Divergenzminderung sei bei gleichzeitiger Schulleistungsförderung in heterogenen Klassen nicht möglich. „Wir brauchen nicht nur mehr Innendifferenzierung, sondern auch mehr äußere Differenzierung“, so von Manteuffels Forderung. Gründe dafür, dass höher begabte im Gegensatz zu schwächer begabten Kindern die Förderung jahrzehntelang nicht oder nur unzureichend bekamen, habe nach Auffassung der Referentin etwas mit der psychologisch geführten Gleichheitsdebatte zu tun und sei u.a. auch ein Akzeptanzproblem in der Gesellschaft.

Und wie sieht die Schülerzusammensetzung der 7. Klasse aus? Von Manteuffel spricht von einer unterschiedlichen Alterszusammensetzung, von unterschiedlichen Vorkenntnissen  - z.T. hätten Schüler bereits Klassen übersprungen. Es seien Schüler mit und ohne zweite Fremdsprachenkenntnisse in der Klasse – mit unterschiedlichen Interessens- und Begabungsschwerpunkten. Die Heterogenität zeige, dass es eine innere  u n d  eine äußere Differenzierung geben müsse.

Wenn Hochbegabte im Schnitt in ihrer intellektuellen Entwicklung etwa zwei Jahre weiter seien als ihre Altersgenossen, dann sei vorstellbar, was es für diese Kinder bedeute, wenn sie eine Außenseiterstellung einnehmen, gemobbt oder als Streber ausgeschlossen würden: Sie geraten in eine soziale Isolation. Bei der Förderung hochbegabter Kinder gehe es nicht um ihre Privilegierung, sondern schlicht und einfach darum, dass auch diese Kinder eben auch eine positive Entwicklung erfahren.

Unterrichtskonzepte sollen auch anderen Schulen zur Verfügung stehen
Man wisse noch zu wenig über Entwicklung und Bedürfnisse dieser Kinder. Außerdem gebe es keine Konzepte und keine entsprechenden Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien für die einzelnen Schulfächer. Von Manteuffel: „Wir haben zwar ein vielseitiges Förderkonzept für Hochbegabte, aber überwiegend unkoordiniert, wenig evaluiert und vor allem nicht flächendeckend. Eines unserer Ziele ist es, mit unseren speziell sich weiterbildenden Lehrern und in Zusammenarbeit mit anderen Schulen verschiedene Unterrichtskonzepte zu entwickeln, die dann allen Schulen zur Verfügung gestellt werden können.“ Das Landesgymnasium für Hochbegabte sei deshalb auch in diesem Sinn ein „Baustein im landesweiten Konzept der Hochbegabtenförderung“.

Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen ging Annette Baronin von Manteuffel auf die Konzeption des Hochbegabtengymnasiums näher ein. Es werde zunächst einzügig mit den Klassenstufen 7 bis 12 geführt. Aufgebaut werde auf dem neuen achtjährigen gymnasialen Bildungsgang. Von Manteuffel: „Wer zu uns kommt, kommt nicht aufgrund des Schulzeugnisses oder auf Wunsch der Eltern, sondern nur durch Nachweis der Hochbegabung. Wir haben begonnen mit den Klassen 7 und 10; in drei Jahren sind wir dann  durchgängig. Möglichst alle Lehrer wohnen auf dem Campus.“ Ziel des LGH sei es, Leben und Lernen miteinander zu verbinden. So hätten die Lehrkräfte an dieser Schule mehrere Funktionen, und zwar als Mentoren, als Erzieher, Betreuer und Unterrichtende. Das pädagogische Konzept stehe unter dem Leitgedanken „Gemeinsames Leben und Lernen“.

Referentin von Manteuffel beleuchtete auch die Unterrichtsorganisation an dieser Schule und stellte heraus, dass mit zunehmender Selbstständigkeit offene Unterrichtsformen eine besondere Rolle spielen. Ziel sei es, nicht nur die intellektuelle, sondern auch die physische und emotionale Seite zu fördern, allumfassend ganzheitlich zu bilden und zu erziehen. Dabei werde auch die Öffnung nach außen als ein wichtiges Bildungselement angesehen: z.B.  Sozialpraktikum, Mitgliedschaft im Sportverein oder Unterricht in der Musikschule.

Anlaufstelle für Fragen zur Hochbegabung:
Das Kompetenzzentrum für Hochbegabtenförderung (KH)
Über die im letzten Jahr eingerichtete landesweite Anlaufstelle für Hochbegabte, also über das Kompetenzzentrum für Hochbegabtenförderung (KH), sprach die Leiterin dieses Zentrums und ehemalige PhV-Schulvertreterin, Ingvelde Scholz. Sie erläuterte Aufgaben und Angebote dieses Zentrums. An dieser Modelleinrichtung, das dem Landesgymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd (LGH) angegliedert ist und mit diesem in enger Kooperation zusammenarbeitet, können sich Interessierte mit Fragen zum Thema Hochbegabung, zu Fortbildungsangeboten und Förderungsmöglichkeiten für hoch begabte Kinder und Jugendliche wenden. Wie Scholz weiter ausführte, ist das Kompetenzzentrum an der Lehrer- und Schülerauswahl des LGH in Schwäbisch Gmünd beteiligt. Informationen über Ablauf, Zeitpunkt und Kosten des Schüler-Auswahlverfahrens befinden sich auf der KH-Homepage ( www.kh-gmuend.de). Daneben berate das Kompetenzzentrum Schüler, Lehrkräfte und Eltern und führe im Rahmen wissenschaftlicher Begleitung des LGH regelmäßige Erhebungen durch. Gemeinsam mit den Lehrkräften des LGH werden spezielle Förderkonzepte und Unterrichtsmodelle für Hochbegabte entwickelt, die regelmäßig evaluiert und ständig weiterentwickelt werden. Über Informations- und Fortbildungsveranstaltungen werden diese auch anderen Schulen und pädagogischen Einrichtungen zugänglich gemacht. Neben einer engen Kooperation mit schulischen, außerschulischen und universitären Institutionen werden vom KH Wochenend- und Ferienakademien für besonders hoch begabte Schülerinnen und Schüler aus ganz Baden-Württemberg und Informationsveranstaltungen organisiert.

„Es ist unser Ziel“, so LGH-Schulleiterin von Manteuffel, „dass jeder Schüler in nicht allzu weiter Zukunft von seinem Wohnort aus – also auch in der Fläche - eine gezielte Förderung erhalten kann, also an Schulen auch in den Regionen zum Beispiel eine solche Klasse für Hochbegabte gebildet wird.“ Hier werde man sich noch überlegen müssen, wie man hochbegabte Schüler auch flächendeckend – nicht nur im Stuttgarter Raum - fördern könne.

Eine lebhafte Aussprache schloss sich an zu Fragen der Arbeits- und Wohnbedingungen der Kollegen am LGH, zu Stundenermäßigungen für Aufgaben von Internatsmentoren und Betreuungsaufgaben (13 Stunden), Klassengröße (24 Schüler), Unterbringung und Aufnahmeverfahren für Schüler und über das Bewerbungsverfahren für interessierte Lehrerinnen und Lehrer („Jeder kann kommen – es findet ein Bewerbergespräch statt“).

Kultusministerin Annette Schavan äußerte in einer Presseerklärung vom 13. Februar 2004: „Mit einem altersgemäßen Intelligenztest wird die geistige Leistungsfähigkeit der Schüler erfasst. In Einzeltests werden dabei auch unter anderem Arbeitsverhalten, Motivation und Problemlösungsstrategien bewertet. Darüber hinaus werden Erkenntnisse zur allgemeinen Entwicklung, zur schulischen Entwicklung sowie Aussagen der Eltern und Informationen zum Umfeld der Schüler einbezogen.

Der Philologenverband fordert übrigens verbindliche Testverfahren auch für jene Schüler der letzten Grundschuljahre, die auf allgemein bildende Gymnasien überwechseln. In der folgenden Diskussion wurde auf Unterschiede der Rahmenbedingungen zwischen Landesgymnasium für Hochbegabte und allgemein bildenden Gymnasien hingewiesen. Zu hören war u.a.: Wie wär’s mit beispielsweise maximal 24 Schülern pro Klasse an allen Gymnasien des Landes? Das wäre doch  zumindest mal ein positives Zeichen auf Basis der Forderung „Gleiche Rahmenbedingungen für alle!“    

Hans-Eckhard Giebel
Redaktion Gymnasium, Zeitschrift des Philologenverbandes BW
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
im Philologenverband Baden-Württemberg

Quellenhinweis: Gymnasium Baden-Württemberg Nr. 1-2 / 2005, Zeitschrift des Philologenverbands Baden-Württemberg, Nr.: 1-2/2005 – Seite 26-27; www.phv-bw.de