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„Diese Kinder brauchen viel geistiges Futter“
Rhein-Neckar-Zeitung vom 13.07.2005

Über das Leid der kleinen Genies – Ingvelde Scholz sprach in Weinheim

Von Kirsten Baumbusch

Weinheim. „Es gibt nichts Ungerechteres als die gleiche Behandlung ungleicher Menschen". Ingvelde Scholz weiß, wie provozierend das klingt. Doch die gelernte Lehrerin für Latein und Evangelische Theologie kennt ihr Metier. Schließlich ist sie Leiterin des Kompetenzzentrums für Hochbegabtenförderung in Schwäbisch Gmünd. Das Zentrum ist dem einzigen Landesgymnasium für diese spezielle Schülergruppe angegliedert.

Wo liegt eigentlich das Problem? Das werden sich viele Eltern fragen, deren Steppkes nicht gerade Überflieger sind. Im Schülercafe der Weinheimer Karrillon-Schule sitzen an diesem Abend viele Väter und Mütter, die das besser wissen. Die Initiative für Erziehung und Bildung sowie die CDU in der Zweiburgenstadt haben zum Abend mit Ingvelde Scholz eingeladen und der Raum platzt schier aus allen Nähten. Das Thema brennt auf den Nägeln und wurde viel zu lange vernachlässigt, das räumt auch der CDU-Landtagsabgeordnete Georg Wacker ein.

Ingvelde Scholz liebt es anschaulich. Deshalb greift sie zur Tierparabel. Da gehen Esel, Hund, Kater und Hahn zusammen in eine Klasse. Alle bekommen die gleiche Aufgabe: Sie sollen Klettern und Tauchen lernen. Der Esel kriegt nicht einmal alle vier Hufe an den Baumstamm und verzweifelt, nachdem er viele Nachhilfestunden genommen hat. Kater Rufus klettert toll, hat aber mit dem Tauchen so seine Probleme. Er geht immer unter und muss vor dem Ertrinken gerettet werden. Das nervte ihn total und bald wird er von seiner Lehrerin als bockig, störend und sogar asozial gebrandmarkt. Der Hund hingegen, wird allen als Vorbild vorgehalten. Er hat sich ordentlich angestrengt und viel geübt, so dass sein Springen an den Baumstamm fast wie Klettern aussieht und er beim Schwimmen den Kopf so lange unter Wasser hält, dass zumindest er glaubte zu tauchen. Er ist in allem mittelmäßig und die Lehrerin zufrieden. Beim Hahn wurde die Fähigkeit zum Mogeln trainiert und er kommt auch ganz gut über die Runden. Kater Rufus allerdings verkriecht sich immer mehr in sich selbst und wird so unsicher, dass er sogar beim Klettern vom Baum fällt. Nachts aber, wenn die Tiere schlafen, da träumen sie manchmal von einer anderen Schule, wo ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Zugegeben, nur eine Geschichte, aber eine wahre. Ingvelde Scholz und viele Eltern können ganz viele, ganz ähnliche erzählen. Da wird als Frechheit gerügt, wenn ein Erstklässler seinen Klassenkameraden die Aufgabe „55 minus 177" stellt. Da langweilen sich Hochbegabte in der normalen Schule schier zu Tode und flüchten sich irgendwann so in Tagträume, dass sie gar nichts mehr mitbekommen. Gar nicht so wenige von ihnen landen schließlich auf der Förderschule.

Dabei, so sagt es das Schulgesetz, soll jedes Kind „seiner Begabung angemessen gefordert und gefördert" werden. Das ist sogar ein Rechtsanspruch. Einen Grund dafür, warum in Deutschland das Thema so spät aufgegriffen wurde, sieht die Fachfrau darin, dass Leistungsbereitschaft hierzulande fast anrüchig ist. Begabte Kinder müssen sich als „Hirnis" verspotten lassen. Eltern trauen sich gar nicht darüber zu sprechen, dass sie da einen kleinen Einstein groß ziehen.

Deshalb wird im Kompetenzzentrum auch so großen Wert auf Lehrerfortbildung gelegt. Denn nur sensible Pädagogen, die vor diesen Kindern keine Angst haben, können sie auch gezielt fördern. Sinnvoll sind neben Begabtenklassen auch Ferienakademien oder spezielle Angebote am Nachmittag. Manchmal hilft auch das Überspringen von Klassen. Wie erkennt man Hochbegabung? Ganz wichtig ist, dass es die oder den Hochbegabten nicht gibt. Sie unterscheiden sich genauso wie Hinz und Kunz. Letzten Aufschluss gibt nur ein anerkannter Intelligenztest. 100 ist der Durchschnitt, bei über 130 Intelligenzquotient beginnt die Hochbegabung. Aber es gibt natürlich Indizien. Zum Beispiel, dass schon das Kleinkind ein ganz geringes Schlafbedürfnis hat, dass es in ganzen Sätzen zu sprechen beginnt, dass es sich Lesen und Rechnen selbst beibringt.

In der Schule sind es dann vor allem abstraktes Denken, ungeheuer schnelle Informationsverarbeitung und außergewöhnliche Gedächtnisleistung, die auffallen. „Diese Kinder brauchen viel geistiges Futter", bringt das Ingvelde Scholz auf den Punkt. Auffällig ist auch, dass Hochbegabte häufig sehr lärm- und geruchsempfindlich sind, viel allein sein wollen und großes Schwierigkeiten mit Autoritäten haben. „Sie führen erbitterte Machtkämpfe mit Menschen, die sie für inkompetent halten", beschreibt Ingvelde Scholz.